10. Geschichte

Wie Clauert seinem Weibe Wein holte

Nicht lange nach dieser Zeit begab es sich, daß ein Herr ein Nachtlager zu Trebbin hielt. Clauert vermeinte, bei dieser Gelegenheit auch einen guten Trunk zu haben, welchen er durch folgende List bekam: Als er sah, daß derselbe Herr an einem günstigen Ort stand, wo er ihn ansprechen  konnte, machte er sich hinzu und zeigte an, daß er ein armes krankes Weib habe, das er mit einem Trunk guten Weines aufzurichten hoffe. (Lieber hätte er es wohl in einem Löffel Wasser ersäuft!)

Da er aber aus Unvermögenheit den Wein nicht bezahlen und noch viel weniger an diesem Ort Geld zu bekommen wüßte, bat er übertänigst, der Herr wolle ein Werk der Barmherzigkeit erweisen und seinem armen kranken Weib mit einem Trunk guten Weines gnädigst zu Hilfe kommen. Darauf gab der Herr, weil ihm Clauert unbekannt war, alsbald den Befehl, daß man ihm eine Kanne Rheinischen Wein geben solle.

Als Clauert den Wein bekam, vergaß er sein Weib, konnte auch das Tor zum Schloß herab nicht finden, sondern kam an die Küchentür, wo er zum guten Trunk auch einen guten Bissen suchte, was den Köchen wohl gefiel. Sie brachten das beste Essen, das sie hatten, genossen auch dafür von dem guten Wein, bis der Boden in der Kanne fast zu sehen war.

Da sagte der eine Koch: „Hätten wir von diesem Wein noch eine Kanne, wir möchten sehen, wie es Clauert vergolten würde.“ Clauert tröstete sie und sprach: „Trinkt diesen aus. Ich weiß so viel, der Herr gibt mir noch eine Kanne Wein.“ Damit nahm er die Kanne, füllte sie in der Küche mit Wasser und bemerkte eben, daß der Herr zum Fenster hinaussah. Er ging und stellte sich, als ob er nicht gut sehen könne, und als er ihm die rechte Zeit zu sein dünkte, fiel er mit der Kanne hin, klagte sehr und tat, als ob er nicht wieder aufstehen könne, welches der Herr sah und sprach: „Ach, der arme Mann wird sich mit seinen schlechten Augen nicht gut behelfen können, wie geht es ihm doch so übel! Wir haben befohlen, ihm eine Kanne Wein zu geben, sein krankes Weib damit zu laben, und nun ist er übel gefallen, daß er nicht aufstehen kann, und hat den Wein dazu verschüttet.“  Er befahl, daß man ihm die Kanne mit Wein alsbald wiederum füllen solle, worüber Clauert hocherfreut war. Er dankte dem Herrn für solche erwiesene Gnade und dachte an den Ort, wo man gute Bissen speist, ging hin, trank den Wein mit den Köchen aus und ließ sein Weib dafür Wasser saufen.

Moral

Wer nur weidlich lügen kann, bleibt stets der allerbeste Mann. Bekommt wohl was, wenn andre darben, muß schillern nur in vielen Farben. Wer das nicht kann, der bleib zu Haus, er wird gar wenig richten aus. Denn wer da will die Wahrheit sagen, wird kleinen Lohn von dannen tragen